2024/KL/2 Landesverfassung Artikel 1

Status:
Nicht Abgestimmt

Aus der Landesverfassung Artikel 1

 

„ (1) Der Mensch ist frei. Er hat ein natürliches Recht auf die Entwicklung seiner körperlichen und geistigen Anlagen und auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit innerhalb der durch das natürliche Sittengesetz gegebenen Schranken.“

 

soll der Halbsatz

 

„….innerhalb der durch das natürliche Sittengesetz gegebenen Schranken.“

 

ersatzlos gestrichen werden.

Begründung:

Die freie Entfaltung der Persönlichkeit kann nicht an die „Schranke des natürlichen Sittengesetzes“ gebunden werden. Diese Vorstellung entspricht einem Menschenbild und Verfassungsverständnis, das auf der strukturellen Ungleichheit der Geschlechter und religiös geprägter Annahmen beruht, die einem auf Gleichwertigkeit Aller beruhenden Gesellschaftsverständnis widersprechen.

Die Formulierung stammt von A. Süsterhenn, dem maßgeblichen Verfasser der Landesverfassung und spiegelt wieder, den Versuch mit Hilfe des im Naturrecht verankerten Sittengesetzes die katholische Moraltheologie verfassungsrechtlich zu verankern.

Das Naturrecht selbst kann in zweierlei Traditionen gesehen werden. In der Tradition der Menschenrechte, wie sie die amerikanische Verfassung Ende des 18. Jhrh. formuliert (We hold these thruth to be self-evident, that all men are created equal) und nachfolgend in den französischen Verfassungen ab der Revolutionszeit.

Das Naturrecht kann aber auch metaphysisch als Werk der Schöpfung Gottes definiert werden, der Schöpferwille ist also die Rechtsquelle. Süsterhenn und andere verstanden das Naturrecht im zuletzt genannten Sinn. Für sie sollte der demokratische Staat unter ein „höheres Gesetz“ gestellt werden. Dieses sahen Süsterhenn und andere “im absoluten Primat des im natürlichen, im Willen Gottes begründeten Sittengesetzes“ (A. Süsterhenn: Schriften zu Natur-Staats- und Verfassungrecht, Mainz 1991, S. 119). Der Hintergrund war für Süsterhenn der verfassungsmäßig verankerte Wunsch (Artikel 1) eines geistig moralischen Neubeginns. Aus Sicht der katholischen Morallehre ist auch die Sittlichkeit des Menschen Teil des Naturrechts – in ihr ist nach dieser Sichtweise kein Platz weder für das Selbstbestimmungsrecht der Frau (z.B. über ihren Körper oder ein eigenständiges Leben jenseits der Ehe) noch für sexuelle und geschlechtliche Identitäten, die nicht-heterosexuell und nicht cis*geschlechtlich sind.

Es gibt in den alten Bundesländern keine Landesverfassung, die dem Sittengesetz und dieser Definition des Naturrechts einen so breiten Raum einräumt. H. Isele, Rechtswissenschaftler und Rektor a.D. der Uni Mainz sieht in den von Süsterhenn gewählten Formulierungen „das Menschenbild der christlich katholischen Staats- und Gesellschaftslehre“ (Isele, Naturrechtsgedanken in der Verfassung von RLP, Mainz 1949, S.181). Das Sittengesetz war gedacht als „der große Regulator“ (Isele). Süsterhenn verstand und betrieb Politik. Er bekleidete mehrere einflussreiche Ämter in RLP und in Europa und setzte sich dort für die Weiterführung der Kriminalisierung der Homosexualität (§ 175 StGB) ein als „angewandte“ Moral.

Der historische Exkurs zeigt, wie überholt diese Formulierung ist, es darf keine Schranke für die freie Entfaltung der Persönlichkeit geben, die sich auf das „natürliche Sittengesetz“ beruft.

Aktuell besteht dringender Handlungsbedarf, diesen Halbsatz zu streichen, weil gerade im gesellschaftlichen Raum eine Diskursverschiebung hin zu autoritären gesellschaftlichen Vorstellungen stattfindet, die eine „Reaktivierung“ dieser rechtlichen Grundlagen als Diskriminierungsbegründung ermöglichen.

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme