Razzien gegen rechtsterroristische Gruppen, Schlagzeilen über die Rückkehr der “Baseballschlägerjahre” der 1990er Jahre und immer neue Berichte über die Zunahme rechter Gewalt sind keine Einzelfälle mehr, sondern Ausdruck einer tiefgreifenden und gefährlichen Entwicklung: Rechtsextremismus ist wieder Alltag – auch für junge Menschen.
Besonders auffällig ist, dass sich immer mehr Jugendliche rechtsextremen Gruppen anschließen – sei es digital in Chatgruppen und auf Social Media, sei es analog durch Verbindungen auf dem Schulhof oder bei rechtsextremen Veranstaltungen, oft getarnt als Wander- oder Sportveranstaltungen. Die Radikalisierung verläuft dabei oft schleichend, aber immer zielgerichtet – und findet längst inmitten unserer Gesellschaft statt.
Wer die Berichterstattung der letzten Monate verfolgt, fühlt sich teils unweigerlich an die 1990er Jahre zurück erinnert – an eine Zeit, die unter dem Schlagwort der “Baseballschlägerjahre” eine traurige Bekanntheit erlangte. Eine Zeit, in der rechte Jugendcliquen offen Jagd auf Andersdenkende, Migrant*innen oder Wohnungslose machten, eine Zeit in der die Polizei oft wegschaute, und rechte Gewalt in vielen Regionen Deutschlands zum Alltag gehörte. Heute erleben wir, dass sich erneut eine gewaltbereite rechtsextreme Jugendkultur herausbildet – mit neuen Mitteln, aber der gleichen Menschenverachtung, dem gleichen Hass, der gleichen gefährlichen Ideologie. Der Unterschied zu den 1990er Jahren: Die rechte Szene ist professioneller, strategischer und digitaler geworden. Rechts sein wird auf verschiedenen Plattformen als “cool” gefeiert, junge Menschen die nach Zugehörigkeit und Anerkennung suchen finden sie zu oft in rechten Bubbles. Der Grundmechanismus aber bleibt: Junge Menschen werden in ihrer Unsicherheit und Orientierungslosigkeit gezielt angesprochen und in menschenfeindliche Strukturen immer tiefer hineingezogen.
In Rheinland-Pfalz ist die rechtsextreme Szene vielfältig organisiert. Sie umfasst Parteien wie die AfD, “Die Heimat” (ehemals NPD), den “III. Weg” und deren Jugendorganisationen, freie Kameradschaften, Burschenschaften und lose Aktionsbündnisse. Diese Strukturen sind gut vernetzt, greifen ineinander und bauen gezielt niedrigschwellige Angebote auf, um junge Menschen für ihre Ideologie zu gewinnen. Sie nutzen dabei Musik, Kleidung, rechte Codes, Veranstaltungen und eine gezielte Ansprache über soziale Netzwerke. Jugendliche werden in ihrer Lebenswelt abgeholt, angesprochen – und dann in die Strukturen hineingezogen und eingebunden. Besonders perfide: Die Szene wirkt für viele Jugendliche auf den ersten Blick “spannend”, rebellisch oder geheimnisvoll – und daher für Jugendliche, besonders in Krisensituationen oder bei empfundenen Ohnmachtserfahrungen besonders ansprechend.
Besonders auffällig dabei ist, dass zu beobachten ist, dass die Strategie rechter Akteure, insbesondere aber der AfD, sich dahingehend entwickelt hat, dass auf Social Media gezielt sehr junge Jugendliche – im Alter von 12, 13 oder 14 Jahren – angesprochen werden. Diese Altersgruppe kann besonders anfällig sein, da sie oft im Schulunterricht noch keine fundierte Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, dem Holocaust, oder dem NS-Regime erfahren hat. Rechtsextreme Inhalte, Memes und vermeintlich humorvolle Formate werden auf Plattformen wie TikTok, Instagram oder YouTube so aufbereitet, dass sie harmlos oder rebellisch erscheinen – während sie aber geschichtsrevisionistische Narrative, Rassismus oder Antisemitismus vermitteln. Damit versuchen rechte Akteure, die Deutungshoheit über Geschichte und Gesellschaft bereits vor dem Beginn schulischer Aufklärung zu übernehmen – und Jugendliche in einem besonders prägbaren Alter ideologisch zu binden.
Dieses Gedankengut bleibt aber nicht im Netz oder in geschlossenen Gruppen. Es findet seinen Weg zurück ins Klassenzimmer, auf den Schulhof, in den Alltag von Kindern, Jugendlichen und Lehrkräften. So hat sich die Zahl rechtsextremistischer Straftaten in Rheinland-Pfalz in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt – auch an Schulen. Von 21 Fällen an Schulen im Jahr 2019 auf 45 Fälle im Jahr 2024. Die meisten davon sind sogenannte Propagandadelikte – Hakenkreuz-Schmierereien, “H*il-H*tler”-Rufe, Sticker oder rechtsextreme Symbole – aber auch Volksverhetzung, Beleidigungen, Sachbeschädigungen und auch Körperverletzung nehmen zu. Das rheinland-pfälzische Innenministerium betont zwar, dass die gestiegene Meldebereitschaft ein Teil der Erklärung für den Anstieg sei – doch diese Zahlen sprechen eine klare Sprache: Rechtsextremismus ist real, sichtbar und zunehmend auch jung und gewaltbereit.
Positiv ist: Lehrkräfte, Schulleitungen und Schüler*innen erkennen immer öfter, dass es sich hierbei eben nicht um “dumme Streiche” handelt – sondern um politisch motivierte, rechte Gewalt. Doch auch wenn Präventions- und Demokratiebildungsprogramme existieren, Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus arbeiten und multiprofessionelle Teams mit Schulen und Jugendhilfe kooperieren – die Maßnahmen reichen nicht aus.
Immer noch gibt es Lehrkräfte, die über rechte Parolen hinwegsehen – nicht, weil sie die Ideologie teilen oder den Ernst nicht erkennen, sondern weil es ihnen an Handlungssicherheit oder Rückhalt fehlt. Hass und Hetze im Netz werden nach wie vor unzureichend verfolgt. Und dort, wo außerschulische Jugendarbeit fehlt – weil sie finanziell und personell zu schwach aufgestellt ist – bleibt das Feld offen für rechte Agitation. Das ist kein Zustand, den wir hinnehmen dürfen – die Uhr schlägt zwölf.
Deshalb braucht es einen klaren politischen Kurs: entschlossen, präventiv und strukturell.
Politische Bildung ist der Schlüssel – aber sie muss gestärkt, verpflichtend und praxisnah ausgestaltet werden. Wir fordern den verpflichtenden und systematischen Ausbau von Demokratie- und Menschenrechtsbildung an allen Schulformen und über alle Jahrgangsstufen hinweg. Programme müssen nah an der Lebensrealität der jungen Menschen sein und zielgruppengerecht und niedrigschwellig gestaltet sein, um wirklich bei den Jugendlichen anzukommen. Es reicht nicht, einmal im Jahr ein Projekt durchzuführen – demokratische Bildung muss ein konstanter roter Faden im Schulalltag sein.
Präventionsarbeit darf nicht am Budget scheitern. Wir setzen uns daher für deutlich mehr finanzielle und personelle Ressourcen für Schulsozialarbeit, außerschulische Jugendbildung und Beratungsstellen ein. Diese leisten täglich unverzichtbare Arbeit, können aber oft nicht ausreichend agieren und reagieren, weil Personal oder Mittel fehlen. Wer ernsthaft verhindern will, dass Jugendliche in rechte Strukturen abgleiten, muss dort investieren, wo Lebensrealität gestaltet wird: Im Jugendhaus bzw. Jugendtreff, auf dem Schulhof, im Klassenzimmer.
Lehrkräfte und pädagogisches Personal dürfen mit rechtsextremen Vorfällen nicht alleine gelassen werden. Deshalb braucht es verbindliche und regelmäßig durchgeführte Fortbildungen zum Umgang mit Rechtsextremismus, Antisemitismus und allen Formen der gruppenbezogenenen Menschenfeindlichkeit. Die Bereitschaft ist da – doch zu oft fehlen die Mittel, die Zeit und die systematische Unterstützung. Schulen brauchen hier nicht nur Appelle, sondern strukturelle Entlastung und eine klare Verantwortungsteilung.
Handlungsleitfäden für den Umgang mit rechten Vorfällen an Schulen und in Jugendeinrichtungen müssen landesweit einheitlich und verpflichtend eingeführt werden. Diese geben Orientierung, schaffen Sicherheit für das Lehr- und Fachpersonal und helfen, einen demokratischen Schulalltag aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig müssen niedrigschwellige, anonyme und datenschutzkonforme Meldewege geschaffen werden – insbesondere für Schüler*innen, die oft keine andere Möglichkeit haben, sich gegen rechte Übergriffe zu wehren oder sich nicht trauen. Wichtig ist: Diese Strukturen dürfen keinen Bespitzelungscharakter entwickeln, sondern müssen Vertrauen aufbauen und konsequent gegen Täter*innen wirken, während der Schutz der Betroffenen gewahrt und garantiert bleibt.
Auch das Pädagogische Landesinstitut Rheinland-Pfalz muss personell gestärkt werden. Wir fordern hier den gezielten Aufbau von Kapazitäten im Bereich Rechtsextremismus. Es braucht mehr Mitarbeiter*innen, die Schulen und Lehrkräfte bei Aufklärung, Beratung und Fortbildung professionell unterstützen. Das Landesinstitut kann eine Schlüsselfunktion bei der Qualifizierung des pädagogischen Personals und der Umsetzung politischer Bildung übernehmen – dafür muss es aber entsprechend ausgestattet sein.
Digitale Räume dürfen keine Rückzugsräume für Hass und Hetze sein. Es braucht wirksame Maßnahmen gegen rechte Online-Radikalisierung, die konsequente Löschung von Hatespeech und rechtsextremen Inhalten, sowie Programme zur Förderung von Medienkompetenz, insbesondere mit Blick auf einen kritischen Umgang mit Informationen.
Und schließlich: Rechtsextreme Straftaten müssen konsequent verfolgt und geahndet werden. Es braucht eine klare Haltung von Polizei und Justiz: Null Toleranz gegenüber rechter Gewalt, Hetze und Bedrohung. Die Ermittlungsbehörden müssen ausreichend ausgestattet, fortgebildet und auf digitale Entwicklungen vorbereitet sein. Gleichzeitig erwarten wir vom Land Rheinland-Pfalz eine klare politische Unterstützung für diese Linie. Wer rechtes Gedankengut ins Klassenzimmer trägt, wer andere Menschen bedroht, verletzt oder einschüchtert, darf nicht auf milde Reaktionen hoffen. Demokratie muss wehrhaft sein – auch im Alltag.
Der Kampf gegen Rechtsextremismus findet auch im Klassenzimmer statt. Daher müssen wir unsere Schulen stärken und sie zu Keimzellen der Demokratie ausbauen.
Dieser Antrag wurde von den Jusos RLP an den Landesvorstand eingereicht. Dieser hat den Antrag im Umlaufbeschluss an den Landesparteirat überwiesen.
Die Begründung der Antragskommission erfolgt vor Ort.