2022/A/3 Bürgergeld gerecht gestalten!

Status:
Überweisung

Wir begrüßen den im Koalitionsvertrag vereinbarten Paradigmenwechsel im SGB II (Grundsicherung für Arbeitssuchende) und die geplante Einführung des Bürgergeldes. Die Reform muss so gestaltet werden, dass sie ein Leben ohne Armut ermöglicht und die (Re-)Integration in den Arbeitsmarkt fördert.

1. Regelsätze und Ansprüche

Die Regelsätze für das Existenzminimum sind so anzupassen, dass sie die Existenz tatsächlich sichern sowie die spezifischen Teuerungs- und Inflationsraten berücksichtigen. Eine Erhöhung zum 01.01.2022 um lediglich 3,00 € (für Kinder 2,00 €) gleicht noch nicht einmal die Teuerungsrate bei den Lebensmitteln aus. Hier sehen wir dringenden Handlungsbedarf. Der Lebensstandard von Langzeitarbeitslosen muss durch ein im Extremfall bis zur Rente gezahltes Arbeitslosengeld (I) gesichert werden, dessen Höhe sich gleichfalls nach dem letzten Nettoentgelt richtet. Wie bei der Anschluss-Arbeitslosenhilfe im Prinzip unbefristet. Anspruchsberechtigung soll sich nach einer bestimmten Mindestversicher-ungsdauer richten. Der Anspruch auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung besteht nach sechsmonatiger Beschäftigung für die gesamte Dauer der Erwerbslosigkeit. Zudem müssen wir uns wieder vom Prinzip der Bedarfsgemeinschaften zugunsten einer individuellen Betrachtung der einzelnen Arbeitsuchenden verabschieden. Um den Aufgaben der Alleinerziehenden gerecht zu werden, dürfen hier beispielsweise nicht die Regelbedarfssätze der Grundsicherung herangezogen werden. Die Regelsätze für Alleinerziehende müssen deutlich über denen der Grundsicherung liegen. Die derzeitig gültigen Zuschläge gleichen die Zusatzbelastung nicht aus. Das ALG II, künftig Bürgergeld, muss, wie ursprünglich von der Hartz-Kommission vorgesehen, deutlich – also etwa um 25% – über dem Existenzminimum liegen.

2. Absetzbeträge

Es ist wichtig, beim System der Absetzbeträge vom Erwerbseinkommen zu bleiben. Dies schafft den Anreiz, mehr zu arbeiten, da dann auch der vom Einkommen freibleibende Betrag höher ist. Sinnvoll wäre es, die Freibeträge für bestimmte Erwerbstätigengruppen zu erhöhen. So sollte für sozialversicherungspflichtige Beschäftigung der Freibetrag höher sein als für einen Minijob. Auch beim Minijob bestünde die Möglichkeit, die sozialversicherungspflichtige Variante zu wählen. Für Alleinerziehende sollte der Freibetrag deutlich höher angesetzt werden, da in diesen Familien nur eine Person einen Freibetrag erwirtschaften kann, in Zwei- Elternfamilien jedoch beide Elternteile durch Erwerbstätigkeit ein höheres Familieneinkommen erwirtschaften können. Die Zuverdienstmöglichkeiten zu erhöhen ist der falsche Ansatz. Dies schafft nur Anreize, sich im Niedriglohnsektor im Bereich der Minijobs zu betätigen, da dann nur so viel gearbeitet wird, um den maximalen Freibetrag zu erhalten.

3. Zuflussprinzip

Das Zuflussprinzip im ersten Monat bei Arbeitsaufnahme muss ausgesetzt werden, da der Arbeitslohn meist am Ende des Monats bezahlt wird und dadurch eine finanzielle Lücke entsteht. Eine im Monat der Arbeitsaufnahme eventuell entstandene Überzahlung ist als Bonus/Prämie dafür anzusehen, dass der /die Leistungsberechtigte Person eine versicherungspflichtige Arbeit aufgenommen hat. Der Satz 3 im Absatz3 des §11 SGB II ist ersatzlos zu streichen.

4. Finanzielle Hilfe von Dritten

Es muss anrechnungsfrei möglich sein, dass z.B. Familienangehörige, Freunde, Solidargemeinschaften oder Vereine Bezieher*Innen von SGB II bzw. Bürgergeld finanziell unterstützen. Ein jährlicher Betrag von bis zu 3.000 Euro sollte als leistungsunschädlich angesehen und nicht angerechnet werden.

5. Schonvermögen

Das Schonvermögen spielt für die Betroffenen eine bedeutende Rolle. Meist stammt das Vermögen aus langer vorangegangener Arbeit.
Wir wollen den Rückgriff auf wirklich große Vermögen beschränken.
Dies kann Kränkungen, Existenzängste und Verarmung ebenso vermindern wie Kontrollbürokratie reduzieren. Wer zur Miete wohnt und kein Wohneigentum hat, darf im Volumen des Schonvermögens nicht schlechter gestellt werden als Betroffene mit Wohneigentum. Letzteres wollen wir jedoch ausdrücklich schützen. Die Freigrenze von Vermögen beträgt mindestens 60.000 Euro. Generell wird Erwerbseinkommen bis zur Höhe von 200 Euro (Grundfreibetrag) nicht angerechnet, darüber hinaus gilt ein Freibetrag von 30 %. Ferner sind private und betriebliche Altersversorgungssysteme bis zum Leistungsfall und danach voll zu sichern und in voller Höhe zu schonen. Eine unschädliche Beitragsbefreiung während eines Bezugs von Leistungen nach SGB II bzw. des Bürgergeldes für private Altersvorsorge ist gesetzlich zu verankern.

6. Sanktionen und Zumutbarkeit

Die bisherigen Sanktionen bei Nichteinhaltung von Vereinbarungen sind keine Lösung. Sanktionen müssen durch positive Anreize (zum Beispiel attraktive Qualifikationsmöglichkeiten und hochwertige Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung) ersetzt werden. Niemand darf mehr genötigt werden, schlechtere Arbeitsbedingungen und einen niedrigeren Lohn zu akzeptieren (mindestens jeweiliger Branchentarifvertrag). Eine Sanktion ist immer das letzte Mittel und darf nur in das höhere neue Bürgergeld, nicht jedoch in das Existenzminimum und die Wohn- und Energiekosten eingreifen. Ferner darf sie jeweils nicht länger als einen Monat verhängt werden. Der Berufs- und Qualifikationsschutz ist wiederherzustellen. Die aktuell im SGB II und im SGB III geltenden Zumutbarkeitsregeln werden grundlegend überarbeitet.

7. Bruttokaltmiete

Die Erstattung der Bruttokaltmiete soll jährlich entsprechend den durchschnittlichen Veränderungen der Mieten in der jeweiligen Region bzw. entsprechend den einschlägigen gesetzlichen Regelungen angepasst werden. Die Feststellung sollen die Gremien der jeweils zuständigen kommunalen Gebietskörperschaften (Kreistag, Stadtrat, Gemeinderat) in Kooperation mit den Jobcentern, Sozialämtern und Mietervereinen übernehmen. Ferner wäre es z. B. eine Möglichkeit, die Vorgaben des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge als Richtschnur zu nehmen. Hierfür bedarf es keiner Rechtsänderung, sondern vielmehr einer fachlich korrekten Ausübung des Ermessensspielraums durch fachlich qualifiziertes Personal in den Jobcentern.

8. Energie- und Wasserkosten

Die Energie- und Wasserkosten (Strom, Heizung und Wasser) sind in tatsächlicher Höhe unter Berücksichtigung von Bausubstanz und üblichem Verbrauch zu übernehmen. Die Regelsätze enthalten für Wohnungsinstandhaltung plus Energiekosten derzeit einen Anteil von 8,8%.(Für eine alleinstehende Person sind dies aktuell gerade einmal 39,51 €, und das angesichts der gegenwärtigen Preisentwicklung!).

9. Anschaffungen und langlebige Gebrauchsgüter

Für größere begründete Anschaffungen/ langlebiger Gebrauchsgüter muss eine bedarfsdeckende Einmalleistung nach individuellem Bedarf (z. B. Kühlschrank, Bett) gewährt werden. Die erforderlichen Beträge sind aus der Regelleistung nicht ansparbar. Die derzeitige Praxis der Darlehensgewährung führt zu massiver Ver- und Überschuldung der Leistungsempfangenden. Durch die Einbehaltung aus den Regelsätzen erfolgt eine langanhaltende oder sogar dauerhafte Unterdeckung. In der Regelleistung ist derzeit ein Anteil von 6,1 % für Innenausstattung, Haushaltsgeräte und Haushaltsgegenstände vorgesehen. Dies entspricht aktuell einem Betrag von 27,39 €. (Wie von diesem Betrag zusätzlich zu laufendem Ausstattungsbedarf Einrichtungsgegenstände und Haushaltsgeräte in einem bedarfsgerechten Zeitraum angespart werden können, bleibt der Fantasie des Gesetzgebers überlassen, ist jedenfalls in Wirklichkeit unmöglich). Deshalb werden die Anschaffungen von Haushaltsgeräten (sogenannte „weiße Ware“), orientiert an der jeweils geltenden höchsten Effizienzklasse, gesondert gefördert. Die Kosten für Brillen werden übernommen (wie jetzt schon bei unter 18-Jährigen). Bei allen Leistungsberechtigten wird ein Strombudget bis 2.000 kwh (ohne Heizstrom) bzw. das entsprechende Äquivalent bei Personen, die mit Gas kochen, übernommen.

10. Strategien zur Armutsvermeidung

Die Erfordernisse besonders benachteiligter Bevölkerungsgruppen sind zu ermitteln und geeignete Strategien der Armutsvermeidung und Eingliederung ins Erwerbsleben zu entwickeln. Es muss ein Erwerbszuschuss eingeführt werden, der sich bei der Bedürftigkeitsprüfung und der Transferhöhe weitestgehend an den Bedingungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende orientiert. Für Erwerbstätige ab einem bestimmten Erwerbseinkommen würde er Grundsicherung, Wohngeld und Kinderzuschlag ersetzen, aber weiterhin im Bereich der Grundsicherung administriert werden. Die vorgesehenen Ansprüche auf verwertbare Qualifizierungsmaßnahmen anstelle des Zwangs zur Arbeitsvermittlung sind ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Zudem sind die Bezieher*innen von Bürgergeld/ALG II wieder in die Rentenversicherung mit Beitrags- und Versicherungszeiten in der Höhe eines halben Entgeltpunktes zu integrieren. Damit ist auch das Risiko der Altersarmut zu verringern und der Zugang zur Grundrente zu erleichtern. Leistungen für Kinder müssen existenzsichernd und teilhabefördernd ausgestaltet werden, z.B. durch die Nicht-Anrechnung des Kindergeldes auf die Leistungen der Grundsicherung oder durch die Einführung einer auskömmlichen Kindergrundsicherung.

11. Bildungs- und Teilhabeaufwendungen

Bildungs- und Teilhabeaufwendungen müssen in tatsächlicher Höhe nach individuellem Aufwand und Bedarf bewilligt werden. Der Anteil für Bildung beträgt derzeit 0,3 % des Regelsatzes. Für einen Erwachsenen sind dies 1,12 € monatlich, für Kinder und Jugendliche zwischen 0,71 € und 0,94 €. Zusätzlich gibt es noch 15,00 € pro Monat aus dem Bildungs- und Teilhabepaket. Eine angemessene aktive Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben scheidet somit von vorneherein aus. So dürfte es z. B. einem musikalisch veranlagten Kind kaum möglich sein, mit diesen Beträgen eine(n) Musiklehrer(in) bezahlen zu können. Das Bildungs- und Teilhabepaket ist auch ein Beispiel für übertriebene bürokratische Hürden. Der Zugang zu den einschlägigen Leistungen ist zu entbürokratisieren und zu vereinfachen.

12. Potentiale fördern!

Die Potentiale der Menschen zu fördern war auch bei der Einführung der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach SGB II als oberste Maxime ausgegeben worden. Der Slogan lautete „Fördern und Fordern“. Die Umsetzung erfolgte allerdings überwiegend im Bereich des Forderns.
Wie im Koalitionsvertrag angelegt, muss daher die Eingliederungsvereinbarung und deren Umsetzung auf Augenhöhe erarbeitet anstatt wie bisher verordnet werden. Arbeitsuchende dürfen außerdem nicht in dequalifizierende oder prekäre Jobs gedrängt werden.

13. Gute Beratung!

Beratung, Arbeitsvermittlung und Qualifizierung werden strikt von allen Geldleistungen getrennt. Die Beratung auf Augenhöhe ist im SGB I verbindlich als Rechtsanspruch in § 14 SGB I Beratung, §§ 13 bis 15 normiert: Aufklärung, Beratung und Auskunft. Jede/r hat Anspruch auf eine umfassende soziale Beratung über seine/ihre Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch sowohl durch die Behörde als auch zusätzlich durch unabhängige Beratungseinrichtungen. Das gilt auch für die Bildungs- und Integrations-beratung mit genauen Informationen über Förderungsmöglichkeiten für eine gewünschte Berufslaufbahn. Zuständig für die Beratung sind die Leistungsträger, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind. Dass nun darauf geachtet werden soll, dass das bestehende Gesetz eingehalten und umgesetzt werden soll, ist aller Ehren und Mühen wert. Hier und auch für die Erarbeitung von Teilhabevereinbarungen bedarf es einer entsprechenden qualitativen und quantitativen Ausstattung der Jobcenter.

14. Personalausstattung

Die qualitative und quantitative Personalausstattung in den Jobcentern muss insbesondere im Bereich des Fallmanagements verbessert werden. Die Leistungsbemessung der zuständige Sachbearbeiter*Innen und die daraus abgeleitete Personalbemessung kann nicht länger nach der puren Anzahl der Leistungsempfangenden und zu vermittelnden Personen errechnet werden, sondern muss vielmehr an den Bedürfnissen und der Zusammensetzung der jeweils betroffenen Leistungsempfangenden orientiert werden. Ferner bedarf es einer ausreichenden Finanzausstattung, um entweder selbst geeignetes Personal für z. B. psychisch kranke Leistungsempfangende zu beschäftigen, oder Stellen bei Kommunen und Wohlfahrtsverbänden zur Unterstützung der Eingliederungsbemühungen zu schaffen und zu sichern. Es müssen auch Kapazitäten für die Vernetzung von passgenauen Hilfen im Einzelfall geschaffen werden. Leistungsempfangende benötigen in vielen Lebensfeldern Unterstützung und müssen kontinuierlich begleitet werden. Aktuell sind Maßnahmen auf drei Monate begrenzt. Dies reicht bei den wenigsten aus, um sie „fit für das (Arbeits-) Leben“ zu machen. Diese Drei-Monatsgrenze sollte auf ihre Wirksamkeit überprüft werden und in einem bedarfsgerechten Umfang erhöht werden.

15. Rechtsweg

Die sofortige Beschreitung des Rechtswegs (Widerspruch, Klage) muss erhalten bleiben. Es darf kein vorgeschaltetes Schlichtungsverfahren geben. Ein Schlichtungsmechanismus ist ungeeignet, da sich in der Regel keine gleichberechtigten Partner gegenüberstehen, sondern es macht eine, oftmals rechtsunkundige, hilfsbedürftige Person gegenüber einer rechtskundigen Behörde einen gesetzlich normierten Rechtsanspruch geltend.

Begründung:

Halbherzige Flickschusterei und kosmetische Reparaturen am Hartz-IV-System helfen der Partei nicht weiter. Der erforderliche Neuanfang beginnt mit überzeugender Selbstkritik und grundlegenden Kurskorrekturen. Ohne den endgültigen Abschied von Hartz IV wird es keine „Wiederauferstehung“ der SPD geben. Ziel ist eine soziale Grundsicherung, die den Namen im Unterschied zu Hartz IV wirklich verdient, weil sie armutsfest, bedarfsdeckend und repressionsfrei ist. Schließlich muss die soziale Grundsicherung ohne Sanktionen auskommen, wenngleich die moralische Verpflichtung fortbesteht, dass seinen Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit selbst sicherstellen muss, wer dazu gesundheitlich, psychisch und aufgrund seiner beruflichen Qualifikation in der Lage ist. Viele Menschen, die Hartz IV beziehen, schaffen es zumindest vorübergehend, auch aufgrund der guten Lage am Arbeitsmarkt, wieder eine Beschäftigung zu finden. Arbeitsmarkt Fuß zu fassen oder gar den Leistungsbezug zu verlassen, gelingt ihnen jedoch häufig nicht.

Wir brauchen eine umfassende Neugestaltung des Transfersystems. Das Leistungssystem muss insgesamt umgebaut werden, damit Arbeit sich mehr lohnt als bisher und Maßnahmen zielgenauer wirken. Das System muss deutlich zu vereinfacht werden, um die hohe effektive Belastung von niedrigen Erwerbseinkommen zu verringern.

Empfehlung der Antragskommission:
Überweisen an: Bundestagsfraktion
Beschluss: Überweisung an die Bundestagsfraktion
Text des Beschlusses:

Wir begrüßen den im Koalitionsvertrag vereinbarten Paradigmenwechsel im SGB II (Grundsicherung für Arbeitssuchende) und die geplante Einführung des Bürgergeldes. Die Reform muss so gestaltet werden, dass sie ein Leben ohne Armut ermöglicht und die (Re-)Integration in den Arbeitsmarkt fördert

 

1. Regelsätze und Ansprüche
Die Regelsätze für das Existenzminimum sind so anzupassen, dass sie die Existenz tatsächlich sichern sowie die spezifischen Teuerungs- und Inflationsraten berücksichtigen.
Eine Erhöhung zum 01.1.2022 um lediglich 3,00 € (für Kinder 2,00 €) gleicht noch nicht einmal die Teuerungsrate bei den Lebensmitteln aus. Hier sehen wir dringenden Handlungsbedarf.
Der Lebensstandard von Langzeitarbeitslosen muss durch ein im Extremfall bis zur Rente gezahltes Arbeitslosengeld (I) gesichert werden, dessen Höhe sich gleichfalls nach dem letzten Nettoentgelt richtet. Wie bei der Anschluss-Arbeitslosenhilfe im Prinzip un-befristet. Anspruchsberechtigung soll sich nach einer bestimmten Mindestversicher-ungsdauer richten. Der Anspruch auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung besteht nach sechsmonatiger Beschäftigung für die gesamte Dauer der Erwerbslosigkeit.
Zudem müssen wir uns wieder vom Prinzip der Bedarfsgemeinschaften zugunsten einer individuellen Betrachtung der einzelnen Arbeitsuchenden verabschieden. Um den Aufgaben der Alleinerziehenden gerecht zu werden, dürfen hier beispielsweise nicht die Regelbedarfssätze der Grundsicherung herangezogen werden. Die Regelsätze
für Alleinerziehende müssen deutlich über denen der Grundsicherung liegen. Die derzeitig gültigen Zuschläge gleichen die Zusatzbelastung nicht aus.
Das ALG II, künftig Bürgergeld, muss, wie ursprünglich von der Hartz-Kommission vorgesehen, deutlich – also etwa um 25% – über dem Existenzminimum liegen.

 

2. Absetzbeträge
Es ist wichtig, beim System der Absetzbeträge vom Erwerbseinkommen zu bleiben. Dies schafft den Anreiz, mehr zu arbeiten, da dann auch der vom Einkommen freibleibende Betrag höher ist. Sinnvoll wäre es, die Freibeträge für bestimmte Erwerbstätigengruppen zu erhöhen. So sollte für sozialversicherungspflichtige Beschäftigung der Freibetrag höher sein als für einen Minijob. Auch beim Minijob
bestünde die Möglichkeit, die sozialversicherungspflichtige Variante zu
wählen. Für Alleinerziehende sollte der Freibetrag deutlich höher angesetzt werden, da in diesen Familien nur eine Person einen Freibetrag erwirtschaften kann, in Zwei- Elternfamilien jedoch beide Elternteile durch Erwerbstätigkeit ein höheres Familieneinkommen erwirtschaften können. Die Zuverdienstmöglichkeiten zu erhöhen ist der falsche Ansatz. Dies schafft nur Anreize, sich im Niedriglohnsektor im Bereich der Minijobs zu betätigen, da dann nur so viel gearbeitet wird, um den maximalen Freibetrag zu erhalten.

 

3. Zuflussprinzip
Das Zuflussprinzip im ersten Monat bei Arbeitsaufnahme muss ausgesetzt werden, da der Arbeitslohn meist am Ende des Monats bezahlt wird und dadurch eine finanzielle Lücke entsteht.
Eine im Monat der Arbeitsaufnahme eventuell entstandene Überzahlung ist als Bonus/Prämie dafür anzusehen, dass der /die Leistungsberechtigte Person eine
versicherungspflichtige Arbeit aufgenommen hat. Der Satz 3 im Absatz3 des §11 SGB II ist ersatzlos zu streichen.

 

4. Finanzielle Hilfe von Dritten
Es muss anrechnungsfrei möglich sein, dass z.B. Familienangehörige, Freunde, Solidargemeinschaften oder Vereine Bezieher*Innen von SGB II bzw. Bürgergeld finanziell unterstützen.
Ein jährlicher Betrag von bis zu 3.000 Euro sollte als leistungsunschädlich angesehen und nicht angerechnet werden.

 

5. Schonvermögen
Das Schonvermögen spielt für die Betroffenen eine bedeutende Rolle. Meist stammt das Vermögen aus langer vorangegangener Arbeit.
Wir wollen den Rückgriff auf wirklich große Vermögen beschränken.
Dies kann Kränkungen, Existenzängste und Verarmung ebenso vermindern wie Kontrollbürokratie reduzieren. Wer zur Miete wohnt und kein Wohneigentum hat, darf im Volumen des Schonvermögens nicht schlechter gestellt werden als Betroffene mit Wohneigentum. Letzteres wollen wir jedoch ausdrücklich schützen. Die Freigrenze von Vermögen beträgt mindestens 60.000 Euro. Generell wird Erwerbseinkommen bis zur Höhe von 200 Euro (Grundfreibetrag) nicht angerechnet, darüber hinaus gilt ein Freibetrag von 30 %. Ferner sind private und betriebliche Altersversorgungssysteme bis zum Leistungsfall und danach voll zu sichern und in voller Höhe zu schonen. Eine unschädliche Beitragsbefreiung während eines Bezugs von Leistungen nach SGB II bzw. des Bürgergeldes für private Altersvorsorge ist gesetzlich zu verankern.

 

6. Sanktionen und Zumutbarkeit
Die bisherigen Sanktionen bei Nichteinhaltung von Vereinbarungen sind keine Lösung. Sanktionen müssen durch positive Anreize (zum Beispiel attraktive Qualifikationsmöglichkeiten und hochwertige Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung) ersetzt werden. Niemand darf mehr genötigt werden, schlechtere Arbeitsbedingungen und einen niedrigeren Lohn zu akzeptieren (mindestens jeweiliger Branchentarifvertrag). Eine Sanktion ist immer das letzte Mittel und darf nur in das höhere neue Bürgergeld, nicht jedoch in das Existenzminimum und die Wohn- und Energiekosten eingreifen. Ferner darf sie jeweils nicht länger als einen Monat verhängt werden. Der Berufs- und Qualifikationsschutz ist wiederherzustellen. Die aktuell im SGB II und im SGB III geltenden Zumutbarkeitsregeln werden grundlegend überarbeitet.

 

7. Bruttokaltmiete
Die Erstattung der Bruttokaltmiete soll jährlich entsprechend den durchschnittlichen Veränderungen der Mieten in der jeweiligen Region bzw. entsprechend den einschlägigen gesetzlichen Regelungen angepasst werden. Die Feststellung sollen die
Gremien der jeweils zuständigen kommunalen Gebietskörperschaften (Kreistag,
Stadtrat, Gemeinderat) in Kooperation mit den Jobcentern, Sozialämtern und Mietervereinen übernehmen. Ferner wäre es z. B. eine Möglichkeit, die Vorgaben des
Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge als Richtschnur zu nehmen. Hierfür bedarf es keiner Rechtsänderung, sondern vielmehr einer fachlich korrekten Ausübung des Ermessensspielraums durch fachlich qualifiziertes Personal in den Jobcentern.

 

8. Energie- und Wasserkosten
Die Energie- und Wasserkosten (Strom, Heizung und Wasser) sind in tatsächlicher
Höhe unter Berücksichtigung von Bausubstanz und üblichem Verbrauch zu übernehmen.
Die Regelsätze enthalten für Wohnungsinstandhaltung plus Energiekosten derzeit einen Anteil von 8,8%.(Für eine alleinstehende Person sind dies aktuell gerade einmal 39,51 €, und das angesichts der gegenwärtigen Preisentwicklung!).

 

9. Anschaffungen und langlebige Gebrauchsgüter
Für größere begründete Anschaffungen/ langlebiger Gebrauchsgüter muss eine
bedarfsdeckende Einmalleistung nach individuellem Bedarf (z. B. Kühlschrank,
Bett) gewährt werden. Die erforderlichen Beträge sind aus der Regelleistung nicht ansparbar. Die derzeitige Praxis der Darlehensgewährung führt zu massiver Ver- und Überschuldung der Leistungsempfangenden. Durch die Einbehaltung aus den Regelsätzen erfolgt eine langanhaltende oder sogar dauerhafte Unterdeckung. In der Regelleistung ist derzeit ein Anteil von 6,1 % für Innenausstattung, Haushaltsgeräte und Haushaltsgegenstände vorgesehen. Dies entspricht aktuell einem Betrag von 27,39 €.
(Wie von diesem Betrag zusätzlich zu laufendem Ausstattungsbedarf
Einrichtungsgegenstände und Haushaltsgeräte in einem bedarfsgerechten Zeitraum angespart werden können, bleibt der Fantasie des Gesetzgebers überlassen, ist jedenfalls in Wirklichkeit unmöglich). Deshalb werden die Anschaffungen von Haushaltsgeräten (sogenannte „weiße Ware“), orientiert an der jeweils geltenden höchsten Effizienzklasse, gesondert gefördert. Die Kosten für Brillen werden übernommen (wie jetzt schon bei unter 18-Jährigen). Bei allen Leistungsberechtigten wird ein Strombudget bis 2.000 kwh (ohne Heizstrom) bzw. das entsprechende Äquivalent bei Personen, die mit Gas kochen, übernommen.

 

10. Strategien zur Armutsvermeidung
Die Erfordernisse besonders benachteiligter Bevölkerungsgruppen sind zu ermitteln und geeignete Strategien der Armutsvermeidung und Eingliederung ins Erwerbsleben zu
entwickeln. Es muss ein Erwerbszuschuss eingeführt werden, der sich bei der Bedürftigkeitsprüfung und der Transferhöhe weitestgehend an den Bedingungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende orientiert. Für Erwerbstätige ab einem bestimmten Erwerbseinkommen würde er Grundsicherung, Wohngeld und Kinderzuschlag ersetzen, aber weiterhin im Bereich der Grundsicherung administriert werden.

Die vorgesehenen Ansprüche auf verwertbare Qualifizierungsmaßnahmen anstelle des Zwangs zur Arbeitsvermittlung sind ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Zudem sind die Bezieher*innen von Bürgergeld/ALG II wieder in die Rentenversicherung mit Beitrags- und Versicherungszeiten in der Höhe eines halben Entgeltpunktes zu integrieren. Damit ist auch das Risiko der Altersarmut zu verringern und der Zugang zur Grundrente zu erleichtern. Leistungen für Kinder müssen existenzsichernd und teilhabefördernd ausgestaltet werden, z.B. durch die Nicht-Anrechnung des Kindergeldes auf die Leistungen der Grundsicherung oder durch die Einführung einer auskömmlichen Kindergrundsicherung.

 

11. Bildungs- und Teilhabeaufwendungen
Bildungs- und Teilhabeaufwendungen müssen in tatsächlicher Höhe nach individuellem Aufwand und Bedarf bewilligt werden. Der Anteil für Bildung beträgt derzeit 0,3 % des Regelsatzes.
Für einen Erwachsenen sind dies 1,12 € monatlich, für Kinder und Jugendliche zwischen 0,71 € und 0,94 €. Zusätzlich gibt es noch 15,00 € pro Monat aus dem Bildungs- und Teilhabepaket.
Eine angemessene aktive Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben scheidet somit von vorneherein aus. So dürfte es z. B. einem musikalisch veranlagten Kind kaum
möglich sein, mit diesen Beträgen eine(n) Musiklehrer(in) bezahlen zu können. Das Bildungs- und Teilhabepaket ist auch ein Beispiel für übertriebene bürokratische Hürden. Der Zugang zu den einschlägigen Leistungen ist zu entbürokratisieren und zu vereinfachen.

 

12. Potentiale fördern!
Die Potentiale der Menschen zu fördern war auch bei der Einführung der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach SGB II als oberste Maxime ausgegeben
worden. Der Slogan lautete „Fördern und Fordern“. Die Umsetzung erfolgte allerdings überwiegend im Bereich des Forderns.
Wie im Koalitionsvertrag angelegt, muss daher die Eingliederungsvereinbarung und deren Umsetzung auf Augenhöhe erarbeitet anstatt wie bisher verordnet werden. Arbeitsuchende dürfen außerdem nicht in dequalifizierende oder prekäre Jobs gedrängt werden.

 

13. Gute Beratung!
Beratung, Arbeitsvermittlung und Qualifizierung werden strikt von allen Geldleistungen getrennt. Die Beratung auf Augenhöhe ist im SGB I verbindlich als Rechtsanspruch in § 14 SGB I Beratung, §§ 13 bis 15 normiert: Aufklärung, Beratung und Auskunft.
Jede/r hat Anspruch auf eine umfassende soziale Beratung über seine/ihre Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch sowohl durch die Behörde als auch zusätzlich durch unabhängige Beratungseinrichtungen. Das gilt auch für die Bildungs- und Integrations-beratung mit genauen Informationen über Förderungsmöglichkeiten für eine gewünschte Berufslaufbahn. Zuständig für die Beratung sind die Leistungsträger, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind.
Dass nun darauf geachtet werden soll, dass das bestehende Gesetz eingehalten und umgesetzt werden soll, ist aller Ehren und Mühen wert.
Hier und auch für die Erarbeitung von Teilhabevereinbarungen bedarf es einer entsprechenden qualitativen und quantitativen Ausstattung der Jobcenter.

 

14. Personalausstattung
Die qualitative und quantitative
Personalausstattung in den Jobcentern muss insbesondere im Bereich des Fallmanagements verbessert werden. Die Leistungsbemessung der zuständige Sachbearbeiter*Innen und die daraus abgeleitete Personalbemessung kann nicht länger
nach der puren Anzahl der Leistungsempfangenden und zu vermittelnden Personen errechnet werden, sondern muss vielmehr an den Bedürfnissen und der Zusammensetzung der jeweils betroffenen Leistungsempfangenden orientiert werden. Ferner bedarf es einer ausreichenden Finanzausstattung, um entweder selbst geeignetes Personal für z. B. psychisch kranke Leistungsempfangende zu beschäftigen, oder Stellen bei Kommunen und Wohlfahrtsverbänden zur Unterstützung der
Eingliederungsbemühungen zu schaffen und zu sichern.
Es müssen auch Kapazitäten für die Vernetzung von passgenauen Hilfen im
Einzelfall geschaffen werden. Leistungsempfangende benötigen in vielen Lebensfeldern Unterstützung und müssen kontinuierlich begleitet werden. Aktuell sind Maßnahmen auf drei Monate begrenzt. Dies reicht bei den wenigsten aus, um sie „fit für das (Arbeits-) Leben“ zu machen. Diese Drei-Monatsgrenze sollte auf ihre Wirksamkeit überprüft werden und in einem bedarfsgerechten Umfang erhöht werden.

 

15. Rechtsweg
Die sofortige Beschreitung des Rechtswegs (Widerspruch, Klage) muss erhalten bleiben. Es darf kein vorgeschaltetes Schlichtungsverfahren geben. Ein Schlichtungsmechanismus ist ungeeignet, da sich in der Regel keine gleichberechtigten Partner gegenüberstehen, sondern es macht eine, oftmals rechtsunkundige, hilfsbedürftige Person gegenüber einer rechtskundigen Behörde einen gesetzlich normierten Rechtsanspruch geltend.

Beschluss-PDF:
Stellungnahme(n):
Der Antrag wurde am 28.07.2022 weitergeleitet.