2024/A/5 Für einen besseren Arbeits- und Gesundheitsschutz

Status:
Nicht Abgestimmt

Viele Beschäftigte sind an ihrem Arbeitsplatz in allen Wirtschaftsbereichen, ob beispielsweise in Industrie, Dienstleistung, Forschung, Pflege oder Verwaltung übermäßig hohen Belastungen ausgesetzt. Das berührt Schichtarbeiter genauso wie Kolleginnen und Kollegen in der Entwicklung, in den Büros oder im Außendienst. Es geht zum einen um die körperliche Belastungen, die vor allem durch schwere Lasten, durch Heben, Tragen, Bücken, durch Arbeiten über Kopf oder in verdrehter Haltung entstehen und auch Belastungen durch Gefahrstoffe. Übermäßige Belastungen umfassen aber zunehmend auch psychische Faktoren, die dazu führen, dass Beschäftigte sich belastet bzw. gestresst fühlen: Steigende Arbeitsintensität, ständige Erreichbarkeit, stetig wachsender Druck etwa gehören dazu. Die Folgen solch arbeitsbedingter Fehlbelastungen sind nicht gering zu schätzen, denn: Psychische wie physische Belastungen – das haben wissenschaftliche Studien längst klar gezeigt – stellen ein erhebliches Gesundheitsrisiko für die Beschäftigten dar. Arbeitsgestaltung und Gesundheitsschutz wird damit zu einem elementar wichtigen Thema in Betrieb und Verwaltung.

Arbeit muss gute, also gesundheitsfördernde und -erhaltende Arbeit sein. Übermäßige Belastungen am Arbeitsplatz sind wirksam zu bekämpfen und spürbar zu reduzieren. Die Arbeitsbedingungen müssen so gestaltet sein, dass Familie und Beruf gut miteinander vereinbar sind und die Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten bis zum Rentenalter erhalten bleibt. Die Gefährdungsbeurteilung ist hierfür ein gutes Instrument eingebettet in eine gute Arbeitsschutzgesetzgebung.

Noch immer werden aber Gefährdungsbeurteilungen bei weitem nicht in allen Betrieben durchgeführt. Seit Jahren ist bekannt, dass in vielen Unternehmen eine humane Arbeitsgestaltung und notwendige Präventionsmaßnahmen am Arbeitsplatz viel zu kurz kommen. Zudem fehlen zunehmend amtliche Aufsicht und Kontrollen.

Eine Modernisierung des Arbeitsschutzes ist unumgänglich, die sicherstellt, dass die Beschäftigten nicht an der „elektronischen Leine“ hängen, d.h. nicht immer und überall auf ihre Arbeitskraft zugegriffen werden kann. Höchstgrenzen bei der Arbeitszeit und der Schutz vor psychischen Belastungen sind auch in der „Arbeitswelt 4.0“ ein Muss. Kurz: Wir brauchen eine neue und ganzheitliche Humanisierung der Arbeitswelt! Insbesondere fordern wir:

 

• die gesetzliche Regelung des 8-Stunden-Tages und die 11-stündige Ruhezeit ist zu erhalten. Diese Regeln sind unverzichtbare Schutzstandards – gerade auch in der modernen Arbeitswelt mit ihrer grenzlosen digitalen Erreichbarkeit. Das Arbeitszeitgesetz darf nicht ausgehöhlt werden.

 

• Es ist sicher zu stellen, dass Arbeitgeber ihre Verpflichtung zur Erfassung der Arbeitszeiten zu erfüllen und für eine gesunde Arbeitszeitgestaltung zu sorgen.

 

• Der Gesetzgeber ist gefordert, die Regelungslücke bei mobiler Arbeit zu schließen. Mobile Arbeit und die Arbeit in „Modern Workspaces“ muss human gestaltet sein.

 

• Belastungen zu ermitteln und abzubauen ist keine Kür für gute Arbeitgeber, sondern eine Pflichtaufgabe für alle. Arbeitgeber sind durch verbindliche, sanktionsbewehrte Regeln stärker in die Pflicht zu nehmen. Dies gilt für große Betriebe genauso wie für KMU.

Deshalb muss die für alle Arbeitgeber bestehende Pflicht, Gefährdungsbeurteilungen durchzuführen und entsprechende Arbeitsschutzmaßnahmen zu dokumentieren, von weiteren Maßnahmen flankiert werden, um bestehende Umsetzungsdefizite abzubauen. Die erforderlichen Maßnahmen reichen von einer weiteren rechtlichen Konkretisierung und Systematisierung der Gefährdungstatbestände über eine Effektivierung behördlicher Überwachung bis hin zu wirksamen Sanktionsmaßnahmen. Eine Anti-Stress-Verordnung würde dazu beitragen, dass wirksame präventive Maßnahmen ergriffen werden.

 

• Wir brauchen ein Initiativrecht und eine wirksame Mitbestimmung bei der Durchsetzung von Präventionsmaßnahmen im Betrieb durch den Betriebsrat.

 

• Sofortprogramm für bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten in der Pflege, insbesondere durch eine Mindestpersonalausstattung.

 

• Präventionsinstrumente und Instrumente zur Gefährdungsbeurteilung sind für die verschiedenen Gewerke, insbesondere auch für die Montage- und Servicebereiche wegen den besonderen Unfall- und Gesundheitsgefahren auf wechselnden Baustellen oder Arbeitsorten anzupassen und weiterzuentwickeln. Der Ausbau von Windkraftwerken und Stromtrassen, der durch energetische Sanierungsmaßnahmen steigende Personalbedarf und der vermehrte Einbau dezentraler Energieinfrastruktur wird den Anteil der Montage- oder Servicetätigkeiten künftig noch vergrößern.

 

• Arbeitsbedingte psychische Erkrankungen müssen endlich als Berufskrankheit anerkannt und entschädigt werden.

 

• Seit 1990 gibt es laut Studien mehr als 40.000 Asbesttote. In den vergangenen 10 Jahren wurden in der DGUV im Mittel jährlich 3360 anerkannte asbestbedingte Berufskrankheiten mit 1600 asbestbedingten Todesfällen verzeichnet. Dunkelziffer: vermutlich doppelte Zahl Vorhandene Erkenntnisse, Verordnungen, Regeln, Empfehlungen wurden nicht konsequent umgesetzt. Qualifizierung und Einweisung der Handwerker waren unzureichend. Auch die erforderlichen Kontrollen war nicht ausreichend.

Die Sanierung und Umbau von Industrie und Gebäuden (öffentliche/private), insbesondere die vor uns stehende energetische Sanierung ist eines der größten Herausforderungen, ca. 35 Mio. Tonnen Asbest sind noch verbaut. Mehrere 10.000 Handwerker:innen (Bau-Gewerbe, Heizungsinstallation, PV-, Elektro, Sanierungsbetriebe, aber auch Feuerwehr und Rettungsdienste sowie die Bevölkerung werden dies in den kommenden Jahren bewältigen müssen.

Deshalb sind nachfolgende Maßnahmen unverzichtbar:

 

1. Schnelles Inkrafttreten einer geänderten Gefahrstoffverordnung, einschließlich der Mitwirkungs- und Informationspflichten des Veranlassers von Tätigkeiten sowie der Qualifikationsanforderungen bei Tätigkeiten mit möglicherweise asbesthaltigen Materialien

 

2. Verpflichtung für ein Gebäudeschadstoff-Kataster oder Gebäudepass

 

3. Kontrolle der einschlägigen staatlichen Schutzvorschriften, Richtlinien z.B. GSV, TRGS 519 sowie Sanktionierungsmaßnahmen

 

4. Qualifizierungs- und Aufklärungsoffensive Asbest

 

• Das Berufskrankheitenrecht muss reformiert werden. Die gesetzlichen Hürden für die Anerkennung einer Berufskrankheit müssen gesenkt werden. Regelungen zur Beweiserleichterung sind zu treffen.

 

• „Betriebsärztinnen und Betriebsärzte sind wie jeder Arzt und jede Ärztin verpflichtet, den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit an den Unfallversicherungsträger oder an die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Landesbehörde gemäß § 202 SGB VII. Laut Studien und Praxiserfahrungen über Missständen im BK-Verfahren sind diese Regelungen den meisten Ärzt:innen nicht bekannt. Deshalb finden meistens keine BK-Anzeigen sowie eine Beratung von Betroffenen statt.

 

• Deshalb ist eine Verbesserung der Ausbildung von Ärzt:innen und Arbeitsmediziner:innen notwendig. Der Ausschuss für Arbeitsmedizin möge bitte prüfen, ob man den Wissensstand zu BKen der Arbeitsmediziner:innen durch eine spezielle ‚Arbeitsmedizinische Regel‘ (AMR) oder ‚Arbeits-medizinische Empfehlungen (AME) verbessern kann.

 

• Die Anzahl der Landesgewerbeärzt:innen hat sich seit Mitte der 90iger Jahre mehr als halbiert. Waren es 1996 noch 160, so sind es heute noch 50. Tendenz weiter fallend. Dabei sind Landesgewerbeärzt:innen eine wichtige Kontrollinstanz in Anerkennungsverfahren für Berufskrankheiten. Bei jährlich ca. 232.206 angezeigten Berufskrankheiten wird deutlich, dass diese Kontrolle längst nicht mehr stattfindet.

 

• Auch weitere Stellen in den Landesgewerbeämtern wurden drastisch abgebaut. In der Folge geht die Anzahl der Betriebsrevisionen drastisch zurück. Sonntagsarbeit ohne Genehmigung, völlig unhaltbare Zustände auf Baustellen und eine Zunahme schwerer Unfälle sind die Folge. Dies alles vor dem Hintergrund einer sich schnell wandelnden Arbeitswelt mit neuen Gefährdungen z. B. durch autonome Fahrzeuge, kollaborierenden Robotern und einer deutlichen Zunahme der mobilen Arbeit.

 

• Die staatlichen Aufsichtsbehörden müssen so aufgestellt sein, dass sie die Betriebe regelmäßig und anlassbezogen beraten und kontrollieren können. Eine 5 Prozent Mindestbesichtigungs-quote, wie sie das Arbeitsschutzkontrollgesetz aktuell vorsieht, reicht dafür bei weitem nicht aus. Ziel muss deshalb eine kontinuierliche und verbindliche Steigerung dieser Quote sein

 

• Eine ausreichende Ausstattung der Behörden mit qualifiziertem Personal sowie ständige Weiterentwicklung des Vorschriften- und Regelwerkes ist seitens zu gewährleisten.

 

Empfänger:innen: SPD-Landesparteitag Rheinland-Pfalz, SPD-Landtagsfraktionen, SPD-Parteivorstand, SPD-Bundesparteitag, SPD-Bundestagsfraktion, SPD-Mitglieder der Bundesregierung

Empfehlung der Antragskommission:
Überweisen an: Bundesparteitag, Bundestagsfraktion, Landtagsfraktion, Parteivorstand